Kapitel 03: Die Pfeilspitze mit Schlangenmotiv
Gerad Burnell kam als Flüchtling in ein Dorf von Brandrodungsbauern, wo er seine Identität verschleierte und Arbeit in einer Schmiede fand. An einem regnerischen Abend machte er sich auf den Weg zur örtlichen Taverne. Er zückte ein paar Sollants (die Währung von Solisium) für den Besitzer, bestellte zwei billige Getränke nickte einem vermummten Fremden zu, der in einer Ecke an einem Tisch saß.
Gerad glitt langsam auf einen Platz ihm gegenüber und fragte mit leiser Stimme: “Haben Sie etwas für mich herausgefunden?”. Der Mann holte eine schwarze Pfeilspitze aus den Falten seiner Kleidung und legte sie diskret auf den Tisch. “Wenn es das ist, was ist vermute… ist es ein Pfeil der Arkeum-Legion.” Gerad steckte die Pfeilspitze ein und übergab die vereinbarten Sollanten. Der vermummte Mann hob den Beutel mit den Sollants auf und erhob sich, um zu gehen. Bevor er das Lokal verließ sagte er noch: “Besser nichts überstürztes tun.”
Zurück in seinem Quartier holte Gerad die Pfeilspitze, die sein Freund Fourdo ihm gegeben hatte, aus einer Schublade und verglich sie mit der Pfeilspitze, die er in der Taverne erhalten hatte. Beide wurden mit identischen Schlangenmotiven graviert. Sie waren von der gleichen Herstellung. “Die Arkeum-Legion…
Gerad starrte immer noch auf die Pfeilspitzen, als ein Klopfen die Stille durchbrach. Er schob beide Pfeilspitzen hastig in eine Schublade und ging mit einem Dolch in seiner Hand hinter seinem Rücken zur Tür. Als er durch einen Spalt in der alten Tür spähte, sah er den vermummten Mann aus der Taverne. Der Mann begann mit nüchterner Stimme zu sprechen, als wüsste er, dass er durch den Spalt beobachtet wurde:
„Wenn Ihr mehr wissen wollt, kommt aus dem Versteck und schließt Euch uns an, Drachentöter Gerad von Argo.“
Der vermummte Mann schob mit der behandschuhten rechten Hand einen zusammengefalteten Zettel durch den Türspalt und verschwand in der regnerischen Dunkelheit. Gerad öffnete die Notiz. Es war ein Ticket für die Fähre auf die Nebulainsel, Abfahrt in drei Tagen..
Ein paar Jahre zuvor
Ein düsterer Nebel legte sich über die schwüle Luft, wo eine Gruppe von Drachenjägern bei einem Drachennest im Draco-Territorium auflauerte.
Nach langem Warten wurde die Stille durch das Geräusch von Ästen unterbrochen, die unter den Füßen zermalmt wurden. Der Lärm war so gewaltig, dass er niemals von einem Vogel oder Wolf stammen konnte, sondern nur die Anwesenheit eines hoch aufragenden Monsters bedeuten konnte. Als die Jäger noch tiefer in die Hocke gingen und ihre Schwerter fester umklammerten, kam ein riesiger Drache zum Vorschein. Als er so nah gekommen war, dass die Jäger in den vorderen Reihen seinen heißen Atem auf ihren Gesichtern spüren konnten, gab ihr Anführer Raoul Druga den Befehl.
“Jetzt!” Blitzschnell flog ein Kettenspeer auf das Bein des Drachen zu. Die im Hinterhalt wartenden Jäger schossen aus allen Richtungen mit ihren Armbrüsten, aber ihre Pfeile konnten die Schuppen des Drachens nicht durchdringen und prallten harmlos ab. „Es ist ein Stahldrache. Fourdo! Wir müssen ihm den Kopf abschlagen. Gerad! Kannst du mich mit dem Schild schützen?“
Gerad sprang auf und stand direkt vor dem Drachen mit seinem silbernen Ritterschild. Er hielt damit den feurigen Atem des Drachen auf. Fourdo nutzte den Moment um eine mit Widerhaken versehene Harpune auf den Flügel des Drachen zu schießen.
Der Drache verlor das Gleichgewicht und taumelte. Er war so gewaltig, dass er dabei Bäume in alle Richtungen umwarf, bevor er letztendlich fast auf Raoul fiel. Raoul ging gerade noch rechtzeitig aus dem Weg und hob sein Schwert, um dem Drachen den Kopf abzuschlagen. In diesem Moment spürte Gerad, der den letzten Atemzug des Drachen abhielt, einen qualvollen Schmerz in seinem Rücken. Der Schmerz kam von einem vergifteten Pfeil
‘Wer hätte…’ Gerad hielt den Schild mit aller Kraft hoch und zwang sich, stehen zu bleiben. “Gerad!”, Raouls Stimme war nur noch ein leises Flüstern in seinen Ohren. Gerad brach zusammen, immer noch den Schild haltend. Das Letzte, was er sah, bevor er das Bewusstsein verlor, war, dass Raoul auf ihn zurannte, während die gewaltigen Klauen des Drachen direkt hinter seinem Rücken flogen.
So starb Raoul Druga, Anführer der Drachenjäger, der von allen Bürgern Argos verehrt wurde.
Fünf Tage später erwachte Gerad schließlich in einem Haufen abgebrochener Äste, die aus dem Nest des Drachen gefallen waren. Das einzige Licht kam von der abnehmenden Mondsichel am Nachthimmel. Er schleppte sich durch das Argo-Territorium zurück in die Nähe der Druga-Residenz. Normalerweise waren die Läden und Kneipen vor dem Herrenhaus um diese Zeit der Nacht voller Spaßmacher, aber es war keine Menschenseele zu sehen. Gerad spürte, dass etwas nicht stimmte, und trat leise in den Hintereingang des Herrenhauses. Er ging langsam den Flur entlang, bis er fremde, schwarz gekleidete Soldaten und den Herrn von Argo, Beiron den Zweiten, erblickte.
“Etwas ist hier sehr schief gelaufen.”, dachte sich Gerad. Er machte sich zügig auf den Weg zu einem sicheren Haus, das Raoul am Rande der Stadt gebaut hatte. Die Vordertür war verschlossen, also ging er herum und trat durch die Hintertür ein, als er hörte, wie jemand in der Dunkelheit nach Luft rang. “Ge… *keuch* Gerad…?”. Die Stimme war eine, die er gut kannte. Als er sich dem Geräusch zuwandte, sah er Fourdo am Boden liegen, sein Körper war mit schrecklichen Stichwunden übersät.
„Es waren noch andere im Tal. Beiron der Zweite muss uns verraten haben… hat diese Pfeilspitze… aus deinem Köcher genommen…“. Fourdo konnte nicht weitersprechen. An Brust und Beinen blutend, tat er seinen letzten Atemzug, nachdem er die Pfeilspitze in Gerads Hände gedrückt hatte.
Gerads Seele schrie vor Schmerz über den Schock, einen weiteren seiner Blutsbrüder verloren zu haben. Er biss sich auf die Lippe und weinte leise, in dem Wissen entdeckt werden zu können. Er starrte auf die Pfeilspitze in seiner Hand. Sie war aus einem schwarzen Metall, das er noch nie zuvor gesehen hatte, und in die das Motiv einer sich windenden Schlange eingraviert war. In diesem Moment hörte er jemanden vor der Tür. Ohne auch nur einen Moment Zeit zu haben, um seinen gefallenen Freund angemessen zu trauern, musste er aus dem Haus raus…
Heute
Drei Tage später betrat Gerad den in kalten Nebel gehüllten Pier im hinteren Teil des Dorfes der Brandrodungsbauern. Die kleine Fähre war nur von einem Ruderer besetzt, der eine fest über den Kopf gezogenen Kapuze trug. “Fährt sonst niemand mit?”, fragte Gerad den Ruderer, als er seine Fahrkarte übergab. Der Ruderer antwortete nicht, sondern hielt das schaukelnde Boot fest. Als Gerad das Boot betragt knüllte der Ruderer die Fahrkarte zusammen und warf sie weg. Dann nahm er seine Kapuze ab und sah Gerad an. Gerade erkannte, dass es sich nicht um einen Mann, sondern eine kurzhaarige Frau handelte. „Jetzt sind wir nur noch zu zweit, aber Ihr werdet gleich viele andere treffen. Da hinten ist etwas, was euch gehört.”
Gerad warf einen Blick auf den hinteren Teil des Bootes, wo die Frau hingedeutet hatte. Dort lag etwas in ein abgetragenes Tuch gewickelt. Als er das Bündel anhob, fühlte er eine vertraute Gestalt. Er nahm das Tuch ab und erkannte, dass es sein silberner Ritterschild war. “Wo hast du es gefunden…?” Gerad richtete seinen Blick auf die Frau, aber seine Frage erstarb auf seinen Lippen. Während sie ruderte, war ihr Blick fest auf die Nebulainsel gerichtet.
Gerad akzeptierte, von ihr keine Antwort mehr zu bekommen. Er beobachtete sie beim Rudern und nahm Platz.